Marktplatz 7, 69117 Heidelberg

 

Leopold und Babette Oppenheimer

Leopold Oppenheimer (1875 - 1940)

Babette Oppenheimer (1877 - 1944)

Am Vormittag des 22. Oktober 1940 sahen NachbarInnen und PassantInnen einen mit Zeltplanen überdeckten Lastwagen vor dem Haus Marktplatz 7 stehen. Sie beobachteten, wie die BewohnerInnen aus dem „Judenhaus"1 abtransportiert wurden - getrieben und überwacht von der Gestapo. Wie in ganz Baden und der Pfalz hatte an diesem Tag auch in Heidelberg die Deportation der Jüdinnen und Juden begonnen. Am Gleis 1a des (alten) Hauptbahnhofs war ein Sonderzug bereitgestellt worden. Am Abend um 18:15 Uhr verließ dieser Zug mit 299 jüdischen HeidelbergerInnen die Stadt - Richtung Gurs. Unter ihnen das Ehepaar Oppenheimer und die anderen jüdischen BewohnerInnen vom Marktplatz 7. Von den zehn BewohnerInnen dieses Hauses hat nur eine einzige überlebt.

Das Leben der Familie Oppenheimer in der Altstadt

Leopold Oppenheimer war 1875 in Neckarsteinach geboren, seine Frau Babette Oppenheimer, geb. Maier, 1877 in Malsch. Heidelberg war ihre geliebte und vertraute Heimat geworden. Bis 1938 hatten sie über 30 Jahre im Erdgeschoss am Marktplatz 7 ein kleines Antiquitätengeschäft erfolgreich geführt. Das Ehepaar wohnte in einer 2-Zimmer Wohnung über dem Geschäft; ihre sechs Kinder ‑ Gre­ta, Julius, Johanna, Irma, Gertrud und Manfred ‑ waren schon lange ausgezogen.

In der Altstadt war die Familie Oppenheimer wegen ihrer herzlichen Freundlichkeit und ihrer Hilfsbereitschaft sehr beliebt und angesehen. Eine besonders enge Geschäftsbeziehung bestand zum Kurpfälzischen Museum. Von 1908 bis 1932 kaufte das Museum jedes Jahr etwa drei bis vier Kunstobjekte; deren Beschaffung war für Leopold Oppenheimer oft aufwendig, und er war stolz auf jedes kost­bare Fundstück für „unser Museum". Es waren Heidelberger Ansichten, Gemälde, Aquarelle, Zeichnungen, Kupferstiche, Porzellan, Fayencen, Kunsthandwerk, kleinere Möbelstücke.2 Noch heute gehören sie zum „großen Schatz" des Kurpfälzischen Museums in Heidelberg.

Diese Verdienste haben aber nicht verhindert, dass seit dem 1. April 1933 auch das Antiquitätengeschäft Oppenheimer auf den NSDAP-Listen der zu boykottierenden

 

Geschäfte in Heidelberg stand. Seit dem 26. April 1938 konnte jederzeit aufgrund einer Verordnung des Finanz-und Wirtschaftsministeriums in Karlsruhe „jüdisches Vermögen in beliebiger Höhe" unter dem Vorwand einer „wirtschaftlichen Notwendigkeit" eingezogen werden. In der Pogromnacht vom 9. zum 10. November 1938 (sog. „Reichskristallnacht“) wurden Wohnung, Geschäft und Lagerraum im Keller des Hauses Marktplatz 7 geplündert und verwüstet. Seit November 1938 wurden im Zuge sog. „Arisierungsmaßnahmen" jüdische GeschäftsinhaberInnen enteignet. Von den 66 im Jahr 1933 bestehenden Einzelhandelsgeschäften konnte lediglich eines weiter betrieben werden.

Beim Geschäft Oppenheimer erfolgte die sog. Liquidation. Die zur Durchführung beauftragten nationalsozialistischen Organisationen erhielten massive Unterstützung durch die gleichgeschaltete Lokalpresse und die Kommunalverwaltung.3 Ein großer Teil der Wohnungs- und Geschäftseinrichtung der Familie Oppenheimer wurde versteigert; weiterer privater Besitz verschwand spurlos, das Grundstück musste verkauft werden. Der von den in die USA geflohenen sechs Kindern als Erbengemeinschaft gestellte „Antrag auf Entschädigung wegen Schaden an Eigentum und Vermögen" erbrachte eine äußerst geringe Entschädigungssumme.4

Die Deportationen der Jüdinnen und Juden aus Südwestdeutschland

Die „Abschiebung“ von über 6.500 Menschen aus Südwestdeutschland nach Gurs wurde in ein bis zwei Tagen „reibungslos abgewickelt“; wahrscheinlich schon als Testphase der späteren „Endlösung" - der systematischen Ermordung von über sechs Millionen jüdischer Menschen, vor allem in den Konzentrationslagern Osteuropas. Heinrich Heydrich schrieb dazu an das Auswärtige Amt am 29. Oktober 1940:

»Die Abschiebung der Juden ist in allen Orten Badens und der Pfalz reibungslos und ohne Zwischenfälle abgewickelt worden. Der Vorgang selbst wurde von der Bevölkerung kaum wahrgenommen.«5

Die Gauleiter Robert Wagner in Baden und Josef Bürckel im Gau Saarpfalz hatten „ganze Arbeit geleistet“, die Deportation erfolgte überfallartig und ohne Vorwarnung. Gestapo und Mitglieder nationalsozialistischer Organisationen in Uniform und Zivil drangen nach einem streng geheim gehaltenen Plan am Morgen des 22. Oktober zwischen 4 Uhr und 7 Uhr in die Häuser und Wohnungen ein und gaben den Befehl zum „Packen": „Mit Handgepäck fertigmachen! In einer halben Stunde werden Sie abgeholt!“ In allen Familien herrschte unbeschreibliche Angst, Ver­wirrung und tiefe Verzweiflung.6

Zu dieser Zeit war aber die Isolierung und Ausgrenzung der jüdischen NachbarIn­nen in Heidelberg schon so weit fortgeschritten, dass es zu keinen öffentlichen Protesten kam. Dennoch gab es den ganzen Tag über in der Stadt, am Marktplatz und am Gleis 1a viele ZuschauerInnen. Vielleicht auch einen prominenten Beobachter im Rathaus – mit gutem Blick auf das Haus der Familie Oppenheimer am Marktplatz 7. Dass der Oberbürgermeister Carl Nein­haus informiert war, geht aus einem von ihm unterzeichneten Aktenbeleg hervor.7

Tot in Gurs

Nach vier Tagen erreichten die Sonderzüge den Zielbahnhof und die Deportierten das Internierungslager Gurs, das unter Befehl des französischen Militärs stand. Die Lebensbedingungen waren unvorstellbar schrecklich und quälend und für viele Menschen schon im ersten Winter tödlich.

Leopold Oppenheimer starb mit 65 Jahren schon vier Wochen später am 23. November 1940. Seine Frau Babette wurde am 30. November 1940 entlassen und starb vier Jahre später, am 1. September 1944, in Périgueux.8 9 

   

Lager Gurs, zwischen 1940 und 1943: oben links Gesamtsicht, oben rechts im tiefen Morast außerhalb der Baracken, unten links innerhalb einer der überfüllten Baracken

  

1 Beginnend im Herbst 1939 wurden Jüdinnen und Juden auf Anweisung der Gestapo in sog. „Judenhäuser“ eingewiesen und dort sehr beengt untergebracht. So wurde aus dem Haus Marktplatz 7 auch eines der vielen „Judenhäuser“ in Heidelberg. Weitere Ausführungen hierzu in: Norbert Giovannini, Claudia Rink: Ghetto ohne Ghetto. In: Heidelberger Geschichtsverein (Hrsg.): Heidelberg. Jahrbuch zur Geschichte der Stadt. Nr. 14, 2010, S. 75ff.

2 Akte „Antrag auf Wiedergutmachungsverfahren", Sig. 480, Nr. 10438, Generallandesarchiv Karlsruhe.

3 Vgl. Jörg Schadt, Michael Caroli (Hrsg.): Heidelberg unter dem Nationalsozialismus. Studien zu Verfolgung, Widerstand und Anpassung. Heidelberg 1985, S. 431ff.

4 Vgl. Akte „Antrag auf Wiedergutmachungsverfahren", a.a.O.

5 Zit. bei Frank Moraw: Die Juden werden abgeholt. Die erste große Deportation aus dem deutschen Südwesten am 22. Oktober 1940. Täter, Opfer und Zuschauer in Heidelberg. In: Heidelberger Geschichtsverein (Hrsg.): Heidelberg. Jahrbuch zur Geschichte der Stadt. Nr. 16, 2012, S. 157.

6 Ebenda.

7 Ebenda, S. 162.

8 Über die Hintergründe ihrer Entlassung und ihren weiteren Aufenthalt in Frankreich war nichts zu ermitteln.

9 In Elsbeth Kasser (Hrsg.): Gurs. Ein Internierungslager in Südfrankreich 1939-1943. Katalog des Skovgaard Museet i Viborg. Viborg 1989, ist über das Schicksal der Menschen in Gurs weiter zu lesen: Seit dem Frühjahr 1941 besserten sich die Zustände im Lager merklich. Verschiedene neutrale Hilfsorganisationen, französisch-jüdische Vereine, amerikanische Quäker und das Schweizer Rote Kreuz konnten vielen Menschen helfen. Durch die Hilfe von Verwandten und Freunden gelang einigen Menschen die Auswanderung, die meisten Kinder und Jugendlichen wurden in französische Kinderheime gebracht und Ältere in Altersheime der Umgebung. Wenigen gelang die Flucht. Über 1.800 Menschen starben in Gurs. Vom 6. August 1942 bis zum 3. März 1943 wurden 3.907 Internierte über das Sammellager Drancy bei Paris nach Auschwitz deportiert und dort ermordet. Heute erinnert eine Gedenktafel im Dorf Gurs auch an die jüdischen Menschen aus Baden.