Moltkestraße 6, 69120 Heidelberg

 

Dr. Johanna Geißmar (1877 – 1942)

Johanna Geissmar wurde am 7. Dezember 1877 in Mannheim als jüngstes Kind von Josef Geißmar, angesehener Rechtsanwalt in Mannheim, und seiner Ehefrau Clara Regensburger, gebürtig aus Eppingen, geboren. Zur ihren Eltern und Geschwistern sei auf den Text über Familie Jakob Geißmar am Ende dieser Broschüre verwiesen.

In Mannheim besuchte sie die Höhere Töchterschule und half ihrer Mutter Clara bei der Führung des Haushaltes. Nach dem Tode des Vaters holte Johanna Geißmar auf dem humanistischen Gymnasium „Hohenbaden“

in Baden-Baden das Abitur nach und immatrikulierte sich im Oktober 1909 an der Ru­precht-Karls-Universität für Medizin, nachdem die Heidelberger Universität seit 1900 auch Frauen zum Studium zuließ.

In dieser Zeit lebte sie im Hause ihres Bruders Jakob, der Landgerichtsrat war, im Graimbergweg 1 oberhalb der Altstadt. Zu Beginn des 1. Weltkrieges meldete sie sich freiwillig für den Lazarettdienst. Zusammen mit ihr engagierten sich auch ihre Nichte Berta Geißmar, die spätere Mitarbeiterin Wilhelm Furtwänglers, die in England überlebte, und ihre Schwägerin Anna, Bher Dissertation 1916.

Nach dem freiwilligen Lazarettdienst zog Johanna Geißmar im April 1920 wieder nach Heidelberg und eröffnete eine Kinderarztpraxis, zunächst in der Erwin-Rohde-Straße 11a, dann ab dem 26.3.1927 in der Moltkestraße 6, wo sie auch wohnte. Durch den Bekanntheitsgrad der ganzen Familie Geißmar in Heidelberg, insbesondere ihres Bruders Jakob, hatte sie bald einen großen PatientInnen-Stamm.

Seit 1930 jedoch nahm der Zustrom ihrer PatientInnen unter dem Druck der NS-Propaganda ab. Nach der Machtübertragung an Hitler im Januar 1933 übernahm im März der gefürchtete Gauleiter Wagner die Regierungsgewalt in Baden. Schon im Boykottaufruf der Gauleitung am 1.4.1933 wurde die Bevölkerung aufgefordert, u.a. auch die jüdischen Ärztinnen und Ärzte zu meiden. Kurz danach wurde am 22. April auch in Baden allen jüdischen Ärztinnen und Ärzten die Zulassung zur Kassenarztpraxis entzogen. Ende April erhielt auch Dr. Johanna Geißmar, die
nun schon 55 Jahre alt war, das Schreiben mit sofortiger Beendigung ihrer kassenärztlichen Tätigkeit.

Da sich in ihrem PatientInnen-Stamm nur wenige SelbstzahlerInnen befanden, sah sie

finanziell keine Möglichkeit, ihre Praxis fortzuführen. Gleichzeitig hoffte sie, durch Rückzug in ein ländliches Gebiet (Schwarzwald) den zunehmenden Verfolgungen und Repressionen entgehen zu können. Sie zog zunächst nach Bärental am Feldberg, ab 1935 lebte sie dann in Saig, wo auch ihr Bruder Friedrich zu ihr stieß, der seine Arztpraxis in Mannheim trotz immer größerer Einschränkungen und Schikanen bis 1938 weitergeführt hatte.

Doch auch hier im Schwarzwald gab es genug AntisemitInnen, die sie denunzierten und nach dem Novemberpogrom 1938 auch tätlich angriffen.

Johanna Geißmars Bruder Jakob, ihre Schwägerin Elisabeth, sie selbst und ihr Bruder Friedrich, vermutlich in Saig

 

Auch Mitglieder der bekennenden Kirche konnten sie nicht schützen. In der immer auswegloseren Situation nahm sich Friedrich Geißmar im Frühherbst 1940 in Saig das Leben, kurz vor der Massendeportation der badischen Jüdinnen und Juden am 22.10.1940, bei der auch seine Schwester nach Gurs deportiert wurde. Seine Leiche wurde im Frühjahr 1941 im Wald bei Saig gefunden.

 

Johanna Geißmar, vermutlich in Saig

 

 

 

 

 

 

 

 

 

In Gurs arbeitete Johanna Geißmar, nunmehr schon über 60 Jahre alt, unter ex­tremsten Bedingungen im Frauenlager, um den vielen Kranken, Verletzten und Sterbenden zu helfen. Hilfsmittel, Verbandsmaterial und Medikamente hatte sie fast keine, doch durch ihren Einsatz vermittelte sie den Gefangenen ein Stück Geborgenheit. Gemeinsam mit der Krankenschwester Pauline Maier aus Baiertal pflegte sie die Menschen im Lager bis zur Erschöpfung. In dem Film „Engel in der Hölle“ setzte ihnen Dietmar Schulz in der Reihe „ZDF-History“ ein Denkmal.

Am 12.8.1942 begleitete Johanna Geißmar einen Todestransport mit ihren Schützlingen nach Auschwitz, wo sie am 14.8.1942 umgebracht wurde. Sie stand nicht auf der Liste für diesen Transport, französische KollegInnen wollten sie zurückhalten. Doch sie wollte die Menschen nicht ohne ihre ärztliche Hilfe alleine gehen lassen und hatte wohl ein letztes Fünkchen Hoffnung, ihren aus München deportierten Bruder Jakob und seine Frau zu finden.

In Saig hat Richard Zahlten Johanna Geißmar mit seinem Buch „Meine Schwester starb in Auschwitz“ ein bewegendes Andenken bewahrt und erreicht, dass die Gemeinde kurz nach der Jahrtausendwende einen Gedenkstein am Saiger Hochfirstweg errichtet hat.